Dankrede anläßlich der Verleihung des Franz Josef Strauß-Preises am 9. Mai 2015 im Kaisersaal der Residenz zu München

Rede Strauss-Preis Reiner Kunzes

Sehr geehrte Frau Professor Männle, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber treuer Freund Theo Waigel, ich danke Ihnen und den Damen und Herren Juroren der Hanns-Seidel-Stiftung für die Verleihung des Franz Josef Strauß-Preises. Ihnen allen, meine Damen und Herren, danke ich für Ihre ehrende Anwesenheit.

Außer bei einem Vortrag in Wildbad Kreuth und zwei offiziellen Anlässen, bei denen Franz Josef Strauß und ich einige Glückwunsch- und Dankesworte wechselten, hat es zwischen uns beiden, wenn ich mich recht entsinne, keinerlei persönliche Kontakte gegeben. Um so häufiger fand ich in den vergangenen siebenunddreißig Jahren meines Bundesbürgerdaseins die Namen Franz Josef Strauß und Kunze miteinander in Verbindung gebracht.
Über eine längere Zeit wurden mir in unregelmäßigen Abständen meine Bücher in zerrissenem Zustand und mit Inschriften zugeschickt wie "Strauß-Intimus".
In der Akte, die das Ministerium für Staatssicherheit der DDR zur weiteren Verfolgung meiner Person auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland angelegt hatte, heißt es:"Inoffiziell wurde bekannt, daß die Frau von Reiner KUNZE...vom CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß...ein komplett eingerichtetes Labor mit sechs Angestellten erhalten hat. Bei ehemaligen Sympathisanten von KUNZE im Bereich Sprachwissenschaften der F[riedrich-]S[chiller-]U[niversität] Jena hat diese Tatsache Entrüstung und endgültige Abwendung von KUNZE bewirkt." Weder meine Frau, noch ihr Bankkonto hatten jemals Kontakt zu Franz Josef Strauß, und zu keiner Zeit verfügte meine Frau über ein eigenes Labor mit sechs Angestellten. Ihre Praxiseinrichtung hat sie zehn Jahre lang in Monatsraten abbezahlt.
Anläßlich der Erstaufführung des Films "Die wunderbaren Jahre" 1979 in Hamburg fand eine Pressekonferenz statt, auf der der Film nicht wegen seiner künstlerischen Mängel angegriffen wurde, was durchaus berechtigt gewesen wäre, sondern das zuweilen schreiend vorgebrachte Verdikt lautete "Wasser auf die Mühlen von Strauß". Ein westberliner Kinobesitzer, der es abgelehnt hatte, den Film ins Programm zu nehmen, begründete die Ablehnung damit, daß er sich nicht von Anti-Strauß-Leuten die Sitzpolster seines Kinos mit Buttersäure ruinieren lassen wolle.
Als ich einer Einladung der Landesgruppe der CSU im Deutschen Bundestag gefolgt war, den Abgeordneten einen Abend lang Rede und Antwort zu stehen, erreichten mich aus der gesamten Bundesrepublik Protestbriefe. So oft werden Sie, meine Damen und Herren, den Namen Strauß noch nie hintereinander gelesen haben wie damals ich. Ein Herr aus Trier schrieb mir, ob sich die Rechte jetzt einen Dichter halte. Als ich zuvor auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung an einem Treffen mit Willy Brandt und Helmut Schmidt teilgenommen hatte, hatte mir der Herr nicht geschrieben. Ich fragte ihn, ob ihn diese Unterlassung nicht nachdenklich stimme.
Eines Tages fand sich im Briefkasten ein Zettel, auf dem es in etwa hieß (der genaue Wortlaut ist mir entfallen):"Mit freundlichen Grüßen Franz Josef Strauß". Ich wußte mit der Botschaft nichts anzufangen. Wenige Tage später entdeckte ich, daß achtzehn von uns gepflanzte Baumsetzlinge und Jungbäume über der Wurzel abgeschnitten und zurück in die Erde gesteckt bzw. in den Boden gerammt worden waren.
Durch die Auszeichnung mit dem Franz Josef Strauß-Preis ist nun tatsächlich ein Anlaß gegeben, die Namen Kunze und Franz Josef Strauß in ein und demselben Atemzug zu nennen, und es bereitet mir ein stilles Vergnügen, daß das Preisgeld ungeschmälert der Reiner und Elisabeth Kunze-Stiftung zugute kommen wird, die wir vor fast zehn Jahren gegründet haben, um noch etwas zu hinterlassen, das zum Widerstand beiträgt gegen ideologische Indoktrination.
Sind Erlebnisse wie die geschilderten, solange sie einem in der Demokratie widerfahren, mehr oder weniger Lappalien, ist der ideologische Haß, der in ihnen zutage tritt, keine Lappalie. Das zeigt sich in politischen Regimen, in denen diesen Haß nichts mehr in die Schranken weist.
Nach dem ungarischen Volksaufstand 1956 wurden über dreihundert Aufständische standrechtlich hingerichtet, und mehr als einhunderttausend Personen verschwanden für viele Jahre in Gefängnissen und Internierungslagern. Dem Regime war das jedoch nicht genug. An dem Aufstand hatte sich der fünfzehnjährige ungarische Schüler Péter Mansfeld beteiligt, und da Minderjährige nicht hingerichtet werden durften, erhielt der Schüler eine Freiheitsstrafe, die, als er volljährig geworden war, in eine Todesstrafe umgewandelt wurde. Elf Tage nach seinem achtzehnten Geburtstag wurde Péter Mansfeld durch den Strang hingerichtet. Aber auch das genügte dem Regime noch nicht. Die Hingerichteten wurden auf der Parzelle 301 des Budapester Rakoskeresztur-Friedhofs begraben, wo man die Kadaver der Zootiere entsorgte. Meine Frau und ich, wir sind Ende der achtziger Jahre in Begleitung eines Dolmetschers durch das kniehohe Gras dieser Parzelle gestiegen, um einige Gräber ausfindig zu machen, und dabei erfuhren wir von zwei Friedhofsarbeitern, daß auch diese Demütigung im Tode den Haß des Regimes nicht hatte stillen können. Einer der Arbeiter erzählte, sie hätten ein Grab von Hingerichteten öffnen müssen und die beiden dort Begrabenen aneinandergebunden und in Stacheldraht-Maschenzaundraht eingerollt gefunden.
Um das Jahr 1960 flüchtete ein junger Soldat der Nationalen Volksarmee der DDR in die Bundesrepublik Deutschland, ge- riet, als er seine Frau nachholen wollte, in eine Falle, und wurde zum Tode verurteilt. Für die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslängliche Haft auf dem Gnadenwege sprach, daß die Fahnenflucht nicht im Krieg, sondern in Friedenszeiten stattfand, und der Fluchtgrund das Verlangen nach einem Leben in Freiheit war. Auch das jugendliche Alter des Straffälligen, seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen und die Tatsache, daß er Vater eines kleinen Kindes war, legten einen Gnadenerweis nahe. Aber dem Regime war die Verurteilung zum Tode zu wenig, es bestand auf der Vollstreckung des Urteils und verwarf das Gnadengesuch. Im Abschiedsbrief des Soldaten vom 11. Juli 1960, der an die Mutter adressiert ist, heißt es:"Soeben habe ich erfahren, daß mein Todesurteil vollstreckt wird, ich habe nur noch wenige Minuten zu leben. Ich...hatte noch nicht einmal einen Rechtsanwalt für mein Gnadengesuch, für mich ist es unfaßbar, daß es so etwas gibt... [W]ir sehen uns später im anderen Leben wieder... Ich stehe ohne Rechtsanwalt so verlassen und weiß auch nicht, was nach meinem Tode wird... Meine Lieben, wenn es Euch möglich ist, möchte ich eine Erdbestattung und meine letzte Ruhestätte in Westdeutschland haben, denn ich hatte mich ja mit meinem Leben für Westdeutschland entschieden." Doch selbst die Hinrichtung war dem Regime zu wenig. Es unterschlug den Abschiedsbrief an die Mutter. Man fand ihn dreißig Jahre später in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.
Ideologischer Haß ist eine der furchtbaren Ausgeburten des Menschenhirns.
Blicken wir heute in die Welt, erfaßt uns ein Grauen. Ich bin mir sicher, es ist im Sinne von Franz Josef Strauß, daraus wieder und wieder zu folgern: Verteidigen wir die tolerante, wehrhafte Demokratie!

Ich danke Ihnen.